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Oberlandesgericht Naumburg
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RiOLG Henning Haberland
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Pressemitteilungen des Oberlandesgerichts
Adresse des Oberlandesgerichts
Pressemitteilungen des Oberlandesgerichts Naumburg
(OLG NMB) Das Urteil im "Tierschützer-Fall" in vollständig abgefasster Form
09.05.2018, Naumburg (Saale) – 3
- Oberlandesgericht
Der zweite Strafsenat hat durch Urteil vom 22. Februar 2018 die Revision der
Staatsanwaltschaft gegen den Freispruch dreier Angeklagten vom Vorwurf des
gemeinschaftlichen Hausfriedensbruchs verworfen. Der Senat hat angenommen,
dass das Verhalten der Angeklagten gerechtfertigt war, weil der von ihnen
bezweckte Tierschutz ein notstandsfähiges Rechtsgut sei. Die Urteilsgründe
liegen nunmehr vor und werden nachfolgend wegen des erheblichen öffentlichen
Interesses an dem Verfahren in vollständiger Form mitgeteilt:
Urteil
2 Rv 157/17 OLG Naumburg
28 Ns 74/17 LG Magdeburg
182 Js 32201/14 StA Magdeburg
In der Strafsache
wegen Hausfriedensbruchs
hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Naumburg in der Hauptverhandlung
vom 22. Februar 2018, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht Henss,
Richter am Oberlandesgericht Becker,
Richterin am Amtsgericht Wiederhold,
Oberstaatsanwältin als Vertreterin der Generalstaatsanwaltschaft,
die drei Angeklagten,
J. F.
E. M.
Dr. S. F.
Rechtsanwalt
als Verteidiger von J. F. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
für R e c h t erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Magdeburg
vom 11. Oktober 2017 wird als unbegründet verworfen.
Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die den Angeklagten
dadurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe
I.
Den Angeklagten liegt Hausfriedensbruch zu Last. Das Amtsgericht H.
hatte sie freigesprochen. Das Landgericht hat die Berufung der Staatsanwaltschaft
verworfen.
Es hat festgestellt:
Bei den Angeklagten handelt es sich um Mitglieder der Tierschutzorganisation
A. (? ) .
Die Angeklagten engagieren sich seit mehreren Jahren aktiv für den Tierschutz,
u. a. indem sie über die Tierschutzorganisation A. mehrfach Verstöße
gegen das Tierschutzgesetz bei den zuständigen Behörden zur Anzeige
brachten. Sie sammelten hierbei in der Vergangenheit jedoch die Erfahrung,
dass Anzeigen im Hinblick auf Verstöße gegen das Tierschutzgesetz von zuständigen
Behörden nicht ernst genommen werden, sofern diese nicht mit
Bildmaterial oder anderen Beweismitteln untermauert sind.
Der Angeklagte F erhielt im Jahr 2013 von einer nicht näher feststellbaren Person
den Hinweis, dass in den Stallungen der Tierzuchtanlagen diverse Verstöße
gegen die nach einer Übergangszeit seit dem 1. Januar 2013 geltende Tierschutznutztierhaltungsverordnung
vorliegen sollen, insbesondere, dass die
Kastenstände für Schweine deutlich zu klein seien.
Der Angeklagte F informierte die Angeklagten M und Fr hierüber. Die Angeklagten
F und M entschieden sich nunmehr, in dem Wissen aus vorherigen
Fällen, dass eine Anzeige der entsprechenden Behörde ohne dokumentierte
Beweise zu keinem Erfolg führen würde, am 29. Juni 2013 in die Anlage in S.
einzusteigen und die dortigen Verstöße gegen die Tierschutznutztierverordnung
bildlich festzuhalten, um dieses Beweismaterial einer zu fertigenden Strafanzeige
zu Grunde zu legen. Die Angeklagten zogen sich neue und desinfizierte
Einwegkleidung an, legten Mundschutz, Schuhüberzieher und Handschuhe an
und desinfizierten sich sowie die mitgeführte Kamera. Sodann überstiegen sie
3
in der Nacht vom 29. Juni 2013 zum 30. Juni 2013 die Umzäunung der Anlage
der Geschädigten und betraten über die geöffneten Türen die Stallanlagen um
dort Filmaufnahmen zu fertigen. Private Räume oder Büroräume betraten sie
nicht. Die Angeklagten stellten hierbei entsprechend des vorherigen Hinweises
diverse Verstöße gegen die Tierschutznutztierverordnung vor und dokumentierten
diese filmerisch. Da es ihnen aufgrund der Größe der Anlage, in welcher
ca. 62.000 Tiere gehalten werden, nicht möglich war, in der zur Verfügung stehenden
Zeit sämtliche Missstände filmisch festzuhalten, entschlossen sich die
Angeklagten M und Fr, die Anlage am 11. Juli 2013 in den Nachtstunden erneut
zu betreten. Sie zogen wiederum desinfizierte Einwegkleidung an und desinfizierten
die Kamera. In der Folge fertigten sie weitere Foto- und Filmaufnahmen,
welche wiederum diverse Verstöße gegen die Tierschutznutztierverordnung
dokumentierten. Sie stellten hierbei fest, dass entgegen den tierschutzrechtlichen
Vorschriften die Kastenstände für die Sauenhaltung zu schmal sind,
dass Eber in Kastenstellen gehalten werden, dass Beschäftigungsmaterial bei
den Tieren fehlte, dass die Betonspalten im Fußboden deutlich zu groß waren
und die Eber keinen Blickkontakt zu Schweinen hatten.
Die Angeklagten handelten hierbei auf Grund ihres stark ausgeprägten Mitgefühls
für Tiere mit dem Ziel, die durch die festgestellten Verstöße gegen die
Tierschutznutztierhaltungsverordnung begründete gegenwärtige Gefahr durch
den Eingriff dauerhaft abzustellen, indem sie die zuständigen staatlichen Stellen
veranlassten, in rechtskonformen Verfahren auf die Einhaltung der Regelungen
des Tierschutzes hinzuwirken. Sie informierten daher über die A.
die Öffentlichkeit, legten das Filmmaterial dem Ministerium für Landwirtschaft
und Umwelt des Landes Sachsen-Anhalt und dem Landesverwaltungsamt vor
und erstatteten am 7. November 2013 bei der Staatsanwaltschaft Magdeburg
Strafanzeige.
Bei einer auf Grund des von den Angeklagten gefertigten Filmmaterials durchgeführten
unangekündigten Teamkontrolle der Verwaltungsbehörde wurden in
der Stallanlage am 6. Dezember 2013 folgende Verstöße gegen die Tierschutznutztierverordnung
festgestellt:
- Breite der Kastenstände zu gering (0,51 bzw. 0,6 m), § 24 Abs. 2 Tier-
SchNutztV,
- Beschäftigungsmaterial in Kastenständen fehlte, § 26 Abs. 1 Nr. 1 Tier-
SchNutztV,
- Beschäftigungsmaterial in Abferkelkörben fehlte, § 26 Abs. 1 Nr. 1 Tier-
SchNutztV,
- im Bereich der Mast-, Besamung- und Jungsauenaufzucht war die Breite der
Bodenspalten zu groß, § 22 Abs. 3 TierSchNutztV,
- 2 Eber hatten keinen Sichtkontakt, § 22 Abs. 2 Nr.1 TierSchNutztV,
- Lichtintensität betrug keine 80 Lux, § 26 Abs. 2 TierSchNutztV,
- Mastgruppenhaltung zum Teil überbelegt, § 29 Abs. 2 TierSchNutztV,
- in Mastgruppenhaltung eine Tränke für mehr als 12 Tiere, § 29 Abs. 3 Tier-
SchNutztV.
Insbesondere der Mangel der zu geringen Breite der Kastenstände, welcher im
Wesentlichen auf bauliche Gegebenheiten der Anlage zurückzuführen ist, war
dem zuständigen Veterinäramt des Landkreises B. auf Grund vorheriger
Kontrollen bekannt, ist jedoch nicht beanstandet worden. Das Landesverwaltungsamt
berichtete dem zuständigen Ministerium am 18. Dezember 2013 auf
Grund des Recherergebnisses der Angeklagten, "dass die durch den Landkreis
in den letzten Jahren durchgeführten Kontrollen nicht unerhebliche tierschutzwidrige
Zustände gedeckt haben" und "der Landkreis nicht in der Lage war und
ist, die Zustände durch ordnungsrechtliche Maßnahmen zu steuern." Der
Fachdienst Veterinärüberwachung des Landkreises B. berichtete in einer
fachlichen Stellungnahme zu Verstößen in der Tierhaltung der Tierzuchtanlagen
GmbH vom 27. Januar 2014 gegenüber der Staatsanwaltschaft Magde4
burg, dass "der Aufenthalt über einen längeren Zeitraum in zu kleinen Kastenständen
als erhebliches Leiden iSd § 17 Nr. 2 b TierSchG für ein Schwein anzusehen"
sei und "das Fehlen von Beschäftigungsmaterial ? das Wohlbefinden
der Tiere erheblich (beeinträchtige) und ? als erhebliches Leiden einzustufen"
sei.
Das Landgericht vertritt die Auffassung, die Taten seien sowohl als Nothilfe (§
32 StGB) als auch als Notstand (§ 34 StGB) gerechtfertigt.
Dagegen richtet sich die von der Generalstaatsanwalt vertretene Revision der
Staatsanwaltschaft, mit der unter näheren Ausführungen die Verletzung sachlichen
Rechts gerügt wird.
II.
Die Revision hat keinen Erfolg. Die Taten (Hausfriedensbruch, § 123 Abs. 1
StGB) waren gemäß § 34 StGB (rechtfertigender Notstand) nicht rechtswidrig.
Die Angeklagten haben die Taten in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren
Gefahr für ein anderes Rechtsgut begangen, um die Gefahr abzuwenden,
eine Abwägung der widerstreitenden Interessen ergibt, dass das geschützte
Interesse das beeinträchtigte Rechtsgut wesentlich überwiegt. Die
Taten waren auch ein angemessenes Mittel, um die Gefahr abzuwenden.
1. Die Auffassung der Staatsanwaltschaft, eine Rechtfertigung wegen Notstandes
komme
schon deswegen nicht in Betracht, weil hier keine Gefahr für ein
notstandsfähiges
Rechtsgut bestanden habe, sondern Schweine gefährdet gewesen seien,
deren Halter
die Taten der Angeklagten offensichtlich nicht wollte, greift zu kurz.
Nach allgemeiner
Auffassung ist der Tierschutz ein anderes Rechtsgut im Sinne
des § 34
StGB und daher notstandsfähig. Er ist gemäß Artikel 20a GG als
Staatsschutzziel verfassungsmäßig verankert und über das Tierschutzgesetz
als auch die Verordnung zum Schutz landwirtschaftlicher Nutztiere
und anderer Tiere rechtlich ausgestaltet. Unerheblich ist insoweit,
dass das gefährdete Rechtsgut, der Tierschutz, nicht den Angeklagten
selbst zusteht, denn § 34 StGB umfasst auch Rechtsgüter der Allgemeinheit
(BGH NStZ 1988, 558; OLG Düsseldorf NStZ 2006, 243; Roxin,
Strafrecht, AT, 4. Auflage, § 16 Rn. 10). Artikel 20a GG entfaltet
zwar keine unmittelbare Drittwirkung, bindet aber den Staat und seine
Organe. Für die Judikative bedeutet dies, unbestimmte Rechtsbegriffe
im Sinne dieses Staatsziels: Schutz der Umwelt und der Tiere zu interpretieren
(Maunz/Dürig, GG, Art. 20a, Rn. 58). Dies gilt auch für die
Auslegung von § 34 StGB. Die Auffassung der Staatsanwaltschaft, ein
Vorgehen gegen die Misshandlung von Tieren könne keine Rechtfertigung
wegen Notstandes begründen, wenn der Eigentümer der Tiere
dies nur billige, würde auch zu Ergebnissen führen, die kaum nachvollziehbar
sind: So dürfte etwa niemand die Scheibe eines in praller Hitze
stehenden Autos einschlagen, in dem gerade ein Hund zu ersticken
droht, wenn der Eigentümer des Tieres und des Autos zugegen ist und
das Aufschließen der Tür mit dem Hinweis verweigert, eine "kleine Abhärtung"
werde dem Tier nicht schaden.
Die massiven Verletzungen tierschutzrechtlicher Vorschriften, welche
die Angeklagten dokumentierten, begründeten auch eine gegenwärtige
Gefahr. Auch eine Dauergefahr ist gegenwärtig im Sinne des § 34 StGB
5
(BGH St 28, 255 ff., Fischer, StGB, 65. Auflage, Rn. 8 zu § 34). Die dokumentierten
Zustände gefährdeten das Rechtsgut Tierschutz nicht lediglich
im Zeitpunkt der Dokumentation, sondern auch für eine unabsehbare
weitere Zeit.
2. Die Gefahr für das Rechtsgut Tierschutz war auch nicht anders als
durch das Handeln der Angeklagten abwendbar. Zwar ist der Staatsanwaltschaft
zuzustimmen, dass im Falle der Feststellung von Gesetzesverstößen
grundsätzlich zunächst die zuständigen Behörden einzuschalten
sind, es ist auch im Grundsatz allein deren Aufgabe, Beweismittel
für Rechtsverstöße zu sichern. Das kann aber nicht gelten, wenn die
Einschaltung von Behörden von vornherein aussichtslos ist. Hier hatte
das zuständige Veterinäramt bereits vor den Taten der Angeklagten
Kontrollen durchgeführt und in keinem Fall Anlass zu Beanstandungen
gesehen, obgleich ihm ein erheblicher Teil der Mängel, etwa die zu geringe
Breite der Kastenstände, positiv bekannt war. Gleiches gilt für die
zu große Breite der Bodenspalten, die ebenfalls auf baulichen Gegebenheiten
beruhten und sich im Laufe einer überschaubaren Zeit nicht
verändert haben. Hätten die Angeklagten sich an Staatsanwaltschaft,
vorgesetzte Behörde oder Polizei gewandt, ohne bildliche Beweise für
die massiven Verstöße vorzulegen, hätten sowohl vorgesetzte Behörde
als auch Staatsanwaltschaft und Polizei ausschließlich einen Bericht des
zuständigen Veterinäramts eingeholt, der gelautet hätte, dass man regelmäßig
kontrolliere und es nie Beanstandungen gegeben habe. Die
Verfahren wären dann ohne weitere Ermittlungen eingestellt worden.
3. Die Dokumentation der Missstände war auch geeignet, die Gefahr für
das Tierwohl in Zukunft zu verringern oder abzustellen. Eine Notstandshandlung
ist geeignet, wenn die erfolgreiche Abwendung der Gefahr
nicht ganz unwahrscheinlich erscheint (Schönke/Schröder, StGB, 29.
Auflage, § 34 Rn. 19). Ausgeschlossen sind demnach Maßnahmen, die
von Anfang an entweder völlig nutzlos oder nur mit einer ganz unwesentlichen
Erhöhung der Rettungschance verbunden sind (MüKo-StGB,
3. Auflage, § 34 Rn. 90 f).
Die Angeklagten haben durch die Dokumentation und deren Weiterleitung
an die zuständigen Stellen die unangekündigte Kontrolle des Betriebes
erreicht. Es war erst die Vorlage der Aufnahmen durch die Angeklagten,
welche die Veterinärbehörde zwang, die bewusste Vertuschung
tierschutzwidriger Zustände aufzugeben. Die Tatsache, dass die
Gefahr für das Tierwohl nach den Aufnahmen nicht sofort beendet wurde,
führt hier nicht zum Ausschluss einer Rechtfertigung nach § 34
StGB, weil es sich um eine Dauergefahr handelte, bei der es für die
Rechtfertigung ausreicht, wenn die Notstandshandlung zu einer zeitlich
versetzten Gefahrenabwehr führt.
4. Angesichts der Aussichtslosigkeit der Einschaltung staatlicher Stellen
waren die Taten auch das mildeste Mittel zur Gefahrabwendung. Dabei
haben die Angeklagten auch möglichen Gefahren für die Gesundheit
der Tiere durch das Anlegen von desinfizierter Kleidung und die Desinfektion
der Kamera vorgebeugt.
5. Das Eindringen in die Stallanlage und die Dokumentation der Gesetzesverstöße
waren auch ein angemessenes Mittel, um die Gefahr abzuwenden,
wobei das geschützte Interesse (Tierschutz) das beeinträchtigte
wesentlich überwog. Das Landgericht hat überzeugend festgestellt,
dass die Zustände, denen die Tiere ausgesetzt waren, als erhebliche
6
Leiden für diese anzusehen waren. Unabhängig davon, ob diese Zustände
als ordnungsrechtlich oder strafrechtlich relevant zu werten sind,
überwog das Interesse an deren Abstellung das Recht der Betreiber der
Mastanlage auf Respektierung ihres Hausrechts. Das gilt insbesondere
angesichts der Tatsache, dass die Inhaber des Hausrechts für die Missachtung
des Tierschutzes verantwortlich waren. Nach Auffassung des
Senates muss derjenige, der eine Gefahr für ein geschütztes Rechtsgut
verursacht, selber Beeinträchtigungen eigener Rechte eher hinnehmen
als ein Dritter, der an der Entstehung der Gefahr unbeteiligt ist.
6. Auch die Einwände der Revision gegen die Annahme von Rettungsabsicht
der Angeklagten gehen fehl. Die Kammer hat festgestellt, dass die
Angeklagten sichere Hinweise auf massive Verstöße gegen die Tierschutznutztierhaltungsverordnung
erhalten hatten. Wenn die Kammer
ihnen dies geglaubt hat, ist das angesichts der Tatsache, dass diese
massiven Verstöße tatsächlich ? auch behördlicherseits ? festgestellt
wurden, nicht zu beanstanden. Ebenso konnte das Landgericht den zeitlichen
Abstand zwischen Fertigung des Filmmaterials und dessen Vorlage
bei den Behörden dahingehend werten, dass die Angeklagten diese
Zeit für die Aufarbeitung des Materials sowie die Erarbeitung der
Strafanzeige benötigt haben. In dieser Hinsicht unternimmt die Revision
mit der Wertung, der zeitliche Abstand zwischen den Filmaufnahmen
und der Vorlage des Materials bei den Behörden belege eine fehlende
Rettungsabsicht, lediglich den Versuch, ihre eigene Würdigung an die
Stelle der gut begründeten des Landgerichts zu setzen.
Soweit die Revision meint, die Angeklagten seien nicht mit dem Willen,
eine Gefahr abzuwenden, in die Ställe eingedrungen, sondern es sei
ihnen nur darum gegangen, vorhandene Hinweise zu überprüfen, ist das
urteilsfremd. Nach den Feststellungen des Landgerichts drangen die
Angeklagten nicht in die Anlage ein, um zu prüfen, ob dort Verstöße gegen
Tierschutzgesetze begangen wurden, sondern um diese ihnen bekannten
Verstöße bildlich festzuhalten.
III.
Im Gegensatz zu rechtfertigendem Notstand belegen die Urteilsgründe
keine Rechtfertigung wegen Nothilfe nach § 32 StGB. Nothilfe ist nämlich
nur die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen
rechtswidrigen Angriff von einem anderen abzuwenden (§ 32 Abs. 2
StGB). Die Feststellungen des Landgerichts ergeben nicht, dass die
Angeklagten durch die Dokumentierung der Tierschutzverstöße Gefahren
von den zum Zeitpunkt des Eindringens dort untergebrachten Tieren
abwenden wollten. Mastschweine werden nämlich üblicherweise nach
einer Mastzeit von einigen Monaten geschlachtet. Angesichts des Zeitraumes,
der von der Dokumentation bis zur Einreichung des Materials
bei den zuständigen Behörden verging, und des voraussehbar erheblichen
weiteren Zeitraums bis zu einer Abstellung der Verstöße mussten
die Angeklagten davon ausgehen, dass ihre Aktion der überwiegenden
Anzahl der gefilmten Tiere nicht mehr zugutekommen konnte, sondern
nur den nach Abstellen der Missstände untergebrachten Tieren, für die
indes beim Eindringen in die Ställe noch keine gegenwärtige Gefahr bestand.
IV.
7
Angesichts der von der Revision vertretenen Auffassung, ein Freispruch
der Angeklagten würde insbesondere dem Personenkreis der Tierrechtsaktivisten,
dem die Angeklagten zuzurechnen seien, "unter dem
Deckmantel von Nothilfe oder Notstand" erhebliche Eingriffsrechte außerhalb
rechtsstaatlich geregelter und kontrollierter Verwaltungsverfahren
zubilligen, sieht der Senat Anlass zu folgender Klarstellung: Eine
Rechtfertigung wegen Notstandes kommt nur in Betracht, wenn den
Eingreifenden die Tatsachen bekannt sind, welche diesen rechtfertigen.
Dazu reicht die bloße Vermutung, es werde generell oder gerade in diesem
Betrieb gegen Vorschriften verstoßen, nicht aus. Es gibt keine Befugnis,
in fremde Rechte einzugreifen, um zu überprüfen, ob dort gegen
Gesetze verstoßen wird. Ebenso wenig kann das staatliche Gewaltmonopol
umgangen werden, wenn nicht feststeht, dass die staatlichen Behörden
sich im konkreten Fall weigern, ihre Aufgaben zu erfüllen. Die
Angeklagten wussten, dass hier gegen Gesetze verstoßen wurde, die
Richtigkeit dieses Wissens hat sich erwiesen. Ebenso ist erwiesen, dass
die Aufsichtsbehörde massive Mängel vertuscht hat. Die Einschaltung
weiterer Behörden wäre aus den oben genannten Gründen aussichtslos
gewesen.
Die Strafjustiz ist durchaus in der Lage, "Deckmäntel" aufzudecken und
festzustellen, ob ein Rechtfertigungsgrund ?wie hier? tatsächlich vorliegt
oder ob der Beschuldigte die tatsächlichen Voraussetzungen eines solchen
nur wahrheitswidrig behauptet.
Henss Becker Wiederhold
Vorsitzender Richter Richter am Richterin am
am Oberlandesgericht Oberlandesgericht AmtsgerichtDer zweite Strafsenat hat durch Urteil vom 22. Februar 2018 die Revision der
Staatsanwaltschaft gegen den Freispruch dreier Angeklagten vom Vorwurf des
gemeinschaftlichen Hausfriedensbruchs verworfen. Der Senat hat angenommen,
dass das Verhalten der Angeklagten gerechtfertigt war, weil der von ihnen
bezweckte Tierschutz ein notstandsfähiges Rechtsgut sei. Die Urteilsgründe
liegen nunmehr vor und werden nachfolgend wegen des erheblichen öffentlichen
Interesses an dem Verfahren in vollständiger Form mitgeteilt:
Urteil
2 Rv 157/17 OLG Naumburg
28 Ns 74/17 LG Magdeburg
182 Js 32201/14 StA Magdeburg
In der Strafsache
wegen Hausfriedensbruchs
hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Naumburg in der Hauptverhandlung
vom 22. Februar 2018, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht Henss,
Richter am Oberlandesgericht Becker,
Richterin am Amtsgericht Wiederhold,
Oberstaatsanwältin
Der Präsident
des Oberlandesgerichts
Naumburg
Pressesprecher
Domplatz 10
06618 Naumburg
Telefon (0 34 45) 28-0
Telefax (0 34 45) 28 20 00
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als Vertreterin der Generalstaatsanwaltschaft,
die drei Angeklagten,
J. F.
E. M.
Dr. S. F.
Rechtsanwalt
als Verteidiger von J. F. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
für R e c h t erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Magdeburg
vom 11. Oktober 2017 wird als unbegründet verworfen.
Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die den Angeklagten
dadurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe
I.
Den Angeklagten liegt Hausfriedensbruch zu Last. Das Amtsgericht H.
hatte sie freigesprochen. Das Landgericht hat die Berufung der Staatsanwaltschaft
verworfen.
Es hat festgestellt:
Bei den Angeklagten handelt es sich um Mitglieder der Tierschutzorganisation
A. (? ) .
Die Angeklagten engagieren sich seit mehreren Jahren aktiv für den Tierschutz,
u. a. indem sie über die Tierschutzorganisation A. mehrfach Verstöße
gegen das Tierschutzgesetz bei den zuständigen Behörden zur Anzeige
brachten. Sie sammelten hierbei in der Vergangenheit jedoch die Erfahrung,
dass Anzeigen im Hinblick auf Verstöße gegen das Tierschutzgesetz von zuständigen
Behörden nicht ernst genommen werden, sofern diese nicht mit
Bildmaterial oder anderen Beweismitteln untermauert sind.
Der Angeklagte F erhielt im Jahr 2013 von einer nicht näher feststellbaren Person
den Hinweis, dass in den Stallungen der Tierzuchtanlagen diverse Verstöße
gegen die nach einer Übergangszeit seit dem 1. Januar 2013 geltende Tierschutznutztierhaltungsverordnung
vorliegen sollen, insbesondere, dass die
Kastenstände für Schweine deutlich zu klein seien.
Der Angeklagte F informierte die Angeklagten M und Fr hierüber. Die Angeklagten
F und M entschieden sich nunmehr, in dem Wissen aus vorherigen
Fällen, dass eine Anzeige der entsprechenden Behörde ohne dokumentierte
Beweise zu keinem Erfolg führen würde, am 29. Juni 2013 in die Anlage in S.
einzusteigen und die dortigen Verstöße gegen die Tierschutznutztierverordnung
bildlich festzuhalten, um dieses Beweismaterial einer zu fertigenden Strafanzeige
zu Grunde zu legen. Die Angeklagten zogen sich neue und desinfizierte
Einwegkleidung an, legten Mundschutz, Schuhüberzieher und Handschuhe an
und desinfizierten sich sowie die mitgeführte Kamera. Sodann überstiegen sie
3
in der Nacht vom 29. Juni 2013 zum 30. Juni 2013 die Umzäunung der Anlage
der Geschädigten und betraten über die geöffneten Türen die Stallanlagen um
dort Filmaufnahmen zu fertigen. Private Räume oder Büroräume betraten sie
nicht. Die Angeklagten stellten hierbei entsprechend des vorherigen Hinweises
diverse Verstöße gegen die Tierschutznutztierverordnung vor und dokumentierten
diese filmerisch. Da es ihnen aufgrund der Größe der Anlage, in welcher
ca. 62.000 Tiere gehalten werden, nicht möglich war, in der zur Verfügung stehenden
Zeit sämtliche Missstände filmisch festzuhalten, entschlossen sich die
Angeklagten M und Fr, die Anlage am 11. Juli 2013 in den Nachtstunden erneut
zu betreten. Sie zogen wiederum desinfizierte Einwegkleidung an und desinfizierten
die Kamera. In der Folge fertigten sie weitere Foto- und Filmaufnahmen,
welche wiederum diverse Verstöße gegen die Tierschutznutztierverordnung
dokumentierten. Sie stellten hierbei fest, dass entgegen den tierschutzrechtlichen
Vorschriften die Kastenstände für die Sauenhaltung zu schmal sind,
dass Eber in Kastenstellen gehalten werden, dass Beschäftigungsmaterial bei
den Tieren fehlte, dass die Betonspalten im Fußboden deutlich zu groß waren
und die Eber keinen Blickkontakt zu Schweinen hatten.
Die Angeklagten handelten hierbei auf Grund ihres stark ausgeprägten Mitgefühls
für Tiere mit dem Ziel, die durch die festgestellten Verstöße gegen die
Tierschutznutztierhaltungsverordnung begründete gegenwärtige Gefahr durch
den Eingriff dauerhaft abzustellen, indem sie die zuständigen staatlichen Stellen
veranlassten, in rechtskonformen Verfahren auf die Einhaltung der Regelungen
des Tierschutzes hinzuwirken. Sie informierten daher über die A.
die Öffentlichkeit, legten das Filmmaterial dem Ministerium für Landwirtschaft
und Umwelt des Landes Sachsen-Anhalt und dem Landesverwaltungsamt vor
und erstatteten am 7. November 2013 bei der Staatsanwaltschaft Magdeburg
Strafanzeige.
Bei einer auf Grund des von den Angeklagten gefertigten Filmmaterials durchgeführten
unangekündigten Teamkontrolle der Verwaltungsbehörde wurden in
der Stallanlage am 6. Dezember 2013 folgende Verstöße gegen die Tierschutznutztierverordnung
festgestellt:
- Breite der Kastenstände zu gering (0,51 bzw. 0,6 m), § 24 Abs. 2 Tier-
SchNutztV,
- Beschäftigungsmaterial in Kastenständen fehlte, § 26 Abs. 1 Nr. 1 Tier-
SchNutztV,
- Beschäftigungsmaterial in Abferkelkörben fehlte, § 26 Abs. 1 Nr. 1 Tier-
SchNutztV,
- im Bereich der Mast-, Besamung- und Jungsauenaufzucht war die Breite der
Bodenspalten zu groß, § 22 Abs. 3 TierSchNutztV,
- 2 Eber hatten keinen Sichtkontakt, § 22 Abs. 2 Nr.1 TierSchNutztV,
- Lichtintensität betrug keine 80 Lux, § 26 Abs. 2 TierSchNutztV,
- Mastgruppenhaltung zum Teil überbelegt, § 29 Abs. 2 TierSchNutztV,
- in Mastgruppenhaltung eine Tränke für mehr als 12 Tiere, § 29 Abs. 3 Tier-
SchNutztV.
Insbesondere der Mangel der zu geringen Breite der Kastenstände, welcher im
Wesentlichen auf bauliche Gegebenheiten der Anlage zurückzuführen ist, war
dem zuständigen Veterinäramt des Landkreises B. auf Grund vorheriger
Kontrollen bekannt, ist jedoch nicht beanstandet worden. Das Landesverwaltungsamt
berichtete dem zuständigen Ministerium am 18. Dezember 2013 auf
Grund des Recherergebnisses der Angeklagten, "dass die durch den Landkreis
in den letzten Jahren durchgeführten Kontrollen nicht unerhebliche tierschutzwidrige
Zustände gedeckt haben" und "der Landkreis nicht in der Lage war und
ist, die Zustände durch ordnungsrechtliche Maßnahmen zu steuern." Der
Fachdienst Veterinärüberwachung des Landkreises B. berichtete in einer
fachlichen Stellungnahme zu Verstößen in der Tierhaltung der Tierzuchtanlagen
GmbH vom 27. Januar 2014 gegenüber der Staatsanwaltschaft Magde4
burg, dass "der Aufenthalt über einen längeren Zeitraum in zu kleinen Kastenständen
als erhebliches Leiden iSd § 17 Nr. 2 b TierSchG für ein Schwein anzusehen"
sei und "das Fehlen von Beschäftigungsmaterial ? das Wohlbefinden
der Tiere erheblich (beeinträchtige) und ? als erhebliches Leiden einzustufen"
sei.
Das Landgericht vertritt die Auffassung, die Taten seien sowohl als Nothilfe (§
32 StGB) als auch als Notstand (§ 34 StGB) gerechtfertigt.
Dagegen richtet sich die von der Generalstaatsanwalt vertretene Revision der
Staatsanwaltschaft, mit der unter näheren Ausführungen die Verletzung sachlichen
Rechts gerügt wird.
II.
Die Revision hat keinen Erfolg. Die Taten (Hausfriedensbruch, § 123 Abs. 1
StGB) waren gemäß § 34 StGB (rechtfertigender Notstand) nicht rechtswidrig.
Die Angeklagten haben die Taten in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren
Gefahr für ein anderes Rechtsgut begangen, um die Gefahr abzuwenden,
eine Abwägung der widerstreitenden Interessen ergibt, dass das geschützte
Interesse das beeinträchtigte Rechtsgut wesentlich überwiegt. Die
Taten waren auch ein angemessenes Mittel, um die Gefahr abzuwenden.
1. Die Auffassung der Staatsanwaltschaft, eine Rechtfertigung wegen Notstandes
komme
schon deswegen nicht in Betracht, weil hier keine Gefahr für ein
notstandsfähiges
Rechtsgut bestanden habe, sondern Schweine gefährdet gewesen seien,
deren Halter
die Taten der Angeklagten offensichtlich nicht wollte, greift zu kurz.
Nach allgemeiner
Auffassung ist der Tierschutz ein anderes Rechtsgut im Sinne
des § 34
StGB und daher notstandsfähig. Er ist gemäß Artikel 20a GG als
Staatsschutzziel verfassungsmäßig verankert und über das Tierschutzgesetz
als auch die Verordnung zum Schutz landwirtschaftlicher Nutztiere
und anderer Tiere rechtlich ausgestaltet. Unerheblich ist insoweit,
dass das gefährdete Rechtsgut, der Tierschutz, nicht den Angeklagten
selbst zusteht, denn § 34 StGB umfasst auch Rechtsgüter der Allgemeinheit
(BGH NStZ 1988, 558; OLG Düsseldorf NStZ 2006, 243; Roxin,
Strafrecht, AT, 4. Auflage, § 16 Rn. 10). Artikel 20a GG entfaltet
zwar keine unmittelbare Drittwirkung, bindet aber den Staat und seine
Organe. Für die Judikative bedeutet dies, unbestimmte Rechtsbegriffe
im Sinne dieses Staatsziels: Schutz der Umwelt und der Tiere zu interpretieren
(Maunz/Dürig, GG, Art. 20a, Rn. 58). Dies gilt auch für die
Auslegung von § 34 StGB. Die Auffassung der Staatsanwaltschaft, ein
Vorgehen gegen die Misshandlung von Tieren könne keine Rechtfertigung
wegen Notstandes begründen, wenn der Eigentümer der Tiere
dies nur billige, würde auch zu Ergebnissen führen, die kaum nachvollziehbar
sind: So dürfte etwa niemand die Scheibe eines in praller Hitze
stehenden Autos einschlagen, in dem gerade ein Hund zu ersticken
droht, wenn der Eigentümer des Tieres und des Autos zugegen ist und
das Aufschließen der Tür mit dem Hinweis verweigert, eine "kleine Abhärtung"
werde dem Tier nicht schaden.
Die massiven Verletzungen tierschutzrechtlicher Vorschriften, welche
die Angeklagten dokumentierten, begründeten auch eine gegenwärtige
Gefahr. Auch eine Dauergefahr ist gegenwärtig im Sinne des § 34 StGB
5
(BGH St 28, 255 ff., Fischer, StGB, 65. Auflage, Rn. 8 zu § 34). Die dokumentierten
Zustände gefährdeten das Rechtsgut Tierschutz nicht lediglich
im Zeitpunkt der Dokumentation, sondern auch für eine unabsehbare
weitere Zeit.
2. Die Gefahr für das Rechtsgut Tierschutz war auch nicht anders als
durch das Handeln der Angeklagten abwendbar. Zwar ist der Staatsanwaltschaft
zuzustimmen, dass im Falle der Feststellung von Gesetzesverstößen
grundsätzlich zunächst die zuständigen Behörden einzuschalten
sind, es ist auch im Grundsatz allein deren Aufgabe, Beweismittel
für Rechtsverstöße zu sichern. Das kann aber nicht gelten, wenn die
Einschaltung von Behörden von vornherein aussichtslos ist. Hier hatte
das zuständige Veterinäramt bereits vor den Taten der Angeklagten
Kontrollen durchgeführt und in keinem Fall Anlass zu Beanstandungen
gesehen, obgleich ihm ein erheblicher Teil der Mängel, etwa die zu geringe
Breite der Kastenstände, positiv bekannt war. Gleiches gilt für die
zu große Breite der Bodenspalten, die ebenfalls auf baulichen Gegebenheiten
beruhten und sich im Laufe einer überschaubaren Zeit nicht
verändert haben. Hätten die Angeklagten sich an Staatsanwaltschaft,
vorgesetzte Behörde oder Polizei gewandt, ohne bildliche Beweise für
die massiven Verstöße vorzulegen, hätten sowohl vorgesetzte Behörde
als auch Staatsanwaltschaft und Polizei ausschließlich einen Bericht des
zuständigen Veterinäramts eingeholt, der gelautet hätte, dass man regelmäßig
kontrolliere und es nie Beanstandungen gegeben habe. Die
Verfahren wären dann ohne weitere Ermittlungen eingestellt worden.
3. Die Dokumentation der Missstände war auch geeignet, die Gefahr für
das Tierwohl in Zukunft zu verringern oder abzustellen. Eine Notstandshandlung
ist geeignet, wenn die erfolgreiche Abwendung der Gefahr
nicht ganz unwahrscheinlich erscheint (Schönke/Schröder, StGB, 29.
Auflage, § 34 Rn. 19). Ausgeschlossen sind demnach Maßnahmen, die
von Anfang an entweder völlig nutzlos oder nur mit einer ganz unwesentlichen
Erhöhung der Rettungschance verbunden sind (MüKo-StGB,
3. Auflage, § 34 Rn. 90 f).
Die Angeklagten haben durch die Dokumentation und deren Weiterleitung
an die zuständigen Stellen die unangekündigte Kontrolle des Betriebes
erreicht. Es war erst die Vorlage der Aufnahmen durch die Angeklagten,
welche die Veterinärbehörde zwang, die bewusste Vertuschung
tierschutzwidriger Zustände aufzugeben. Die Tatsache, dass die
Gefahr für das Tierwohl nach den Aufnahmen nicht sofort beendet wurde,
führt hier nicht zum Ausschluss einer Rechtfertigung nach § 34
StGB, weil es sich um eine Dauergefahr handelte, bei der es für die
Rechtfertigung ausreicht, wenn die Notstandshandlung zu einer zeitlich
versetzten Gefahrenabwehr führt.
4. Angesichts der Aussichtslosigkeit der Einschaltung staatlicher Stellen
waren die Taten auch das mildeste Mittel zur Gefahrabwendung. Dabei
haben die Angeklagten auch möglichen Gefahren für die Gesundheit
der Tiere durch das Anlegen von desinfizierter Kleidung und die Desinfektion
der Kamera vorgebeugt.
5. Das Eindringen in die Stallanlage und die Dokumentation der Gesetzesverstöße
waren auch ein angemessenes Mittel, um die Gefahr abzuwenden,
wobei das geschützte Interesse (Tierschutz) das beeinträchtigte
wesentlich überwog. Das Landgericht hat überzeugend festgestellt,
dass die Zustände, denen die Tiere ausgesetzt waren, als erhebliche
6
Leiden für diese anzusehen waren. Unabhängig davon, ob diese Zustände
als ordnungsrechtlich oder strafrechtlich relevant zu werten sind,
überwog das Interesse an deren Abstellung das Recht der Betreiber der
Mastanlage auf Respektierung ihres Hausrechts. Das gilt insbesondere
angesichts der Tatsache, dass die Inhaber des Hausrechts für die Missachtung
des Tierschutzes verantwortlich waren. Nach Auffassung des
Senates muss derjenige, der eine Gefahr für ein geschütztes Rechtsgut
verursacht, selber Beeinträchtigungen eigener Rechte eher hinnehmen
als ein Dritter, der an der Entstehung der Gefahr unbeteiligt ist.
6. Auch die Einwände der Revision gegen die Annahme von Rettungsabsicht
der Angeklagten gehen fehl. Die Kammer hat festgestellt, dass die
Angeklagten sichere Hinweise auf massive Verstöße gegen die Tierschutznutztierhaltungsverordnung
erhalten hatten. Wenn die Kammer
ihnen dies geglaubt hat, ist das angesichts der Tatsache, dass diese
massiven Verstöße tatsächlich ? auch behördlicherseits ? festgestellt
wurden, nicht zu beanstanden. Ebenso konnte das Landgericht den zeitlichen
Abstand zwischen Fertigung des Filmmaterials und dessen Vorlage
bei den Behörden dahingehend werten, dass die Angeklagten diese
Zeit für die Aufarbeitung des Materials sowie die Erarbeitung der
Strafanzeige benötigt haben. In dieser Hinsicht unternimmt die Revision
mit der Wertung, der zeitliche Abstand zwischen den Filmaufnahmen
und der Vorlage des Materials bei den Behörden belege eine fehlende
Rettungsabsicht, lediglich den Versuch, ihre eigene Würdigung an die
Stelle der gut begründeten des Landgerichts zu setzen.
Soweit die Revision meint, die Angeklagten seien nicht mit dem Willen,
eine Gefahr abzuwenden, in die Ställe eingedrungen, sondern es sei
ihnen nur darum gegangen, vorhandene Hinweise zu überprüfen, ist das
urteilsfremd. Nach den Feststellungen des Landgerichts drangen die
Angeklagten nicht in die Anlage ein, um zu prüfen, ob dort Verstöße gegen
Tierschutzgesetze begangen wurden, sondern um diese ihnen bekannten
Verstöße bildlich festzuhalten.
III.
Im Gegensatz zu rechtfertigendem Notstand belegen die Urteilsgründe
keine Rechtfertigung wegen Nothilfe nach § 32 StGB. Nothilfe ist nämlich
nur die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen
rechtswidrigen Angriff von einem anderen abzuwenden (§ 32 Abs. 2
StGB). Die Feststellungen des Landgerichts ergeben nicht, dass die
Angeklagten durch die Dokumentierung der Tierschutzverstöße Gefahren
von den zum Zeitpunkt des Eindringens dort untergebrachten Tieren
abwenden wollten. Mastschweine werden nämlich üblicherweise nach
einer Mastzeit von einigen Monaten geschlachtet. Angesichts des Zeitraumes,
der von der Dokumentation bis zur Einreichung des Materials
bei den zuständigen Behörden verging, und des voraussehbar erheblichen
weiteren Zeitraums bis zu einer Abstellung der Verstöße mussten
die Angeklagten davon ausgehen, dass ihre Aktion der überwiegenden
Anzahl der gefilmten Tiere nicht mehr zugutekommen konnte, sondern
nur den nach Abstellen der Missstände untergebrachten Tieren, für die
indes beim Eindringen in die Ställe noch keine gegenwärtige Gefahr bestand.
IV.
7
Angesichts der von der Revision vertretenen Auffassung, ein Freispruch
der Angeklagten würde insbesondere dem Personenkreis der Tierrechtsaktivisten,
dem die Angeklagten zuzurechnen seien, "unter dem
Deckmantel von Nothilfe oder Notstand" erhebliche Eingriffsrechte außerhalb
rechtsstaatlich geregelter und kontrollierter Verwaltungsverfahren
zubilligen, sieht der Senat Anlass zu folgender Klarstellung: Eine
Rechtfertigung wegen Notstandes kommt nur in Betracht, wenn den
Eingreifenden die Tatsachen bekannt sind, welche diesen rechtfertigen.
Dazu reicht die bloße Vermutung, es werde generell oder gerade in diesem
Betrieb gegen Vorschriften verstoßen, nicht aus. Es gibt keine Befugnis,
in fremde Rechte einzugreifen, um zu überprüfen, ob dort gegen
Gesetze verstoßen wird. Ebenso wenig kann das staatliche Gewaltmonopol
umgangen werden, wenn nicht feststeht, dass die staatlichen Behörden
sich im konkreten Fall weigern, ihre Aufgaben zu erfüllen. Die
Angeklagten wussten, dass hier gegen Gesetze verstoßen wurde, die
Richtigkeit dieses Wissens hat sich erwiesen. Ebenso ist erwiesen, dass
die Aufsichtsbehörde massive Mängel vertuscht hat. Die Einschaltung
weiterer Behörden wäre aus den oben genannten Gründen aussichtslos
gewesen.
Die Strafjustiz ist durchaus in der Lage, "Deckmäntel" aufzudecken und
festzustellen, ob ein Rechtfertigungsgrund ?wie hier? tatsächlich vorliegt
oder ob der Beschuldigte die tatsächlichen Voraussetzungen eines solchen
nur wahrheitswidrig behauptet.
Henss Becker Wiederhold
Vorsitzender Richter Richter am Richterin am
am Oberlandesgericht Oberlandesgericht AmtsgerichtDer zweite Strafsenat hat durch Urteil vom 22. Februar 2018 die Revision der
Staatsanwaltschaft gegen den Freispruch dreier Angeklagten vom Vorwurf des
gemeinschaftlichen Hausfriedensbruchs verworfen. Der Senat hat angenommen,
dass das Verhalten der Angeklagten gerechtfertigt war, weil der von ihnen
bezweckte Tierschutz ein notstandsfähiges Rechtsgut sei. Die Urteilsgründe
liegen nunmehr vor und werden nachfolgend wegen des erheblichen öffentlichen
Interesses an dem Verfahren in vollständiger Form mitgeteilt:
Urteil
2 Rv 157/17 OLG Naumburg
28 Ns 74/17 LG Magdeburg
182 Js 32201/14 StA Magdeburg
In der Strafsache
wegen Hausfriedensbruchs
hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Naumburg in der Hauptverhandlung
vom 22. Februar 2018, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht Henss,
Richter am Oberlandesgericht Becker,
Richterin am Amtsgericht Wiederhold,
Oberstaatsanwältin
Der Präsident
des Oberlandesgerichts
Naumburg
Pressesprecher
Domplatz 10
06618 Naumburg
Telefon (0 34 45) 28-0
Telefax (0 34 45) 28 20 00
Presse.olg@justiz.sachsenanhalt.
de
www.olg.sachsen-anhalt.de
2
als Vertreterin der Generalstaatsanwaltschaft,
die drei Angeklagten,
J. F.
E. M.
Dr. S. F.
Rechtsanwalt
als Verteidiger von J. F. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
für R e c h t erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Magdeburg
vom 11. Oktober 2017 wird als unbegründet verworfen.
Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die den Angeklagten
dadurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe
I.
Den Angeklagten liegt Hausfriedensbruch zu Last. Das Amtsgericht H.
hatte sie freigesprochen. Das Landgericht hat die Berufung der Staatsanwaltschaft
verworfen.
Es hat festgestellt:
Bei den Angeklagten handelt es sich um Mitglieder der Tierschutzorganisation
A. (? ) .
Die Angeklagten engagieren sich seit mehreren Jahren aktiv für den Tierschutz,
u. a. indem sie über die Tierschutzorganisation A. mehrfach Verstöße
gegen das Tierschutzgesetz bei den zuständigen Behörden zur Anzeige
brachten. Sie sammelten hierbei in der Vergangenheit jedoch die Erfahrung,
dass Anzeigen im Hinblick auf Verstöße gegen das Tierschutzgesetz von zuständigen
Behörden nicht ernst genommen werden, sofern diese nicht mit
Bildmaterial oder anderen Beweismitteln untermauert sind.
Der Angeklagte F erhielt im Jahr 2013 von einer nicht näher feststellbaren Person
den Hinweis, dass in den Stallungen der Tierzuchtanlagen diverse Verstöße
gegen die nach einer Übergangszeit seit dem 1. Januar 2013 geltende Tierschutznutztierhaltungsverordnung
vorliegen sollen, insbesondere, dass die
Kastenstände für Schweine deutlich zu klein seien.
Der Angeklagte F informierte die Angeklagten M und Fr hierüber. Die Angeklagten
F und M entschieden sich nunmehr, in dem Wissen aus vorherigen
Fällen, dass eine Anzeige der entsprechenden Behörde ohne dokumentierte
Beweise zu keinem Erfolg führen würde, am 29. Juni 2013 in die Anlage in S.
einzusteigen und die dortigen Verstöße gegen die Tierschutznutztierverordnung
bildlich festzuhalten, um dieses Beweismaterial einer zu fertigenden Strafanzeige
zu Grunde zu legen. Die Angeklagten zogen sich neue und desinfizierte
Einwegkleidung an, legten Mundschutz, Schuhüberzieher und Handschuhe an
und desinfizierten sich sowie die mitgeführte Kamera. Sodann überstiegen sie
3
in der Nacht vom 29. Juni 2013 zum 30. Juni 2013 die Umzäunung der Anlage
der Geschädigten und betraten über die geöffneten Türen die Stallanlagen um
dort Filmaufnahmen zu fertigen. Private Räume oder Büroräume betraten sie
nicht. Die Angeklagten stellten hierbei entsprechend des vorherigen Hinweises
diverse Verstöße gegen die Tierschutznutztierverordnung vor und dokumentierten
diese filmerisch. Da es ihnen aufgrund der Größe der Anlage, in welcher
ca. 62.000 Tiere gehalten werden, nicht möglich war, in der zur Verfügung stehenden
Zeit sämtliche Missstände filmisch festzuhalten, entschlossen sich die
Angeklagten M und Fr, die Anlage am 11. Juli 2013 in den Nachtstunden erneut
zu betreten. Sie zogen wiederum desinfizierte Einwegkleidung an und desinfizierten
die Kamera. In der Folge fertigten sie weitere Foto- und Filmaufnahmen,
welche wiederum diverse Verstöße gegen die Tierschutznutztierverordnung
dokumentierten. Sie stellten hierbei fest, dass entgegen den tierschutzrechtlichen
Vorschriften die Kastenstände für die Sauenhaltung zu schmal sind,
dass Eber in Kastenstellen gehalten werden, dass Beschäftigungsmaterial bei
den Tieren fehlte, dass die Betonspalten im Fußboden deutlich zu groß waren
und die Eber keinen Blickkontakt zu Schweinen hatten.
Die Angeklagten handelten hierbei auf Grund ihres stark ausgeprägten Mitgefühls
für Tiere mit dem Ziel, die durch die festgestellten Verstöße gegen die
Tierschutznutztierhaltungsverordnung begründete gegenwärtige Gefahr durch
den Eingriff dauerhaft abzustellen, indem sie die zuständigen staatlichen Stellen
veranlassten, in rechtskonformen Verfahren auf die Einhaltung der Regelungen
des Tierschutzes hinzuwirken. Sie informierten daher über die A.
die Öffentlichkeit, legten das Filmmaterial dem Ministerium für Landwirtschaft
und Umwelt des Landes Sachsen-Anhalt und dem Landesverwaltungsamt vor
und erstatteten am 7. November 2013 bei der Staatsanwaltschaft Magdeburg
Strafanzeige.
Bei einer auf Grund des von den Angeklagten gefertigten Filmmaterials durchgeführten
unangekündigten Teamkontrolle der Verwaltungsbehörde wurden in
der Stallanlage am 6. Dezember 2013 folgende Verstöße gegen die Tierschutznutztierverordnung
festgestellt:
- Breite der Kastenstände zu gering (0,51 bzw. 0,6 m), § 24 Abs. 2 Tier-
SchNutztV,
- Beschäftigungsmaterial in Kastenständen fehlte, § 26 Abs. 1 Nr. 1 Tier-
SchNutztV,
- Beschäftigungsmaterial in Abferkelkörben fehlte, § 26 Abs. 1 Nr. 1 Tier-
SchNutztV,
- im Bereich der Mast-, Besamung- und Jungsauenaufzucht war die Breite der
Bodenspalten zu groß, § 22 Abs. 3 TierSchNutztV,
- 2 Eber hatten keinen Sichtkontakt, § 22 Abs. 2 Nr.1 TierSchNutztV,
- Lichtintensität betrug keine 80 Lux, § 26 Abs. 2 TierSchNutztV,
- Mastgruppenhaltung zum Teil überbelegt, § 29 Abs. 2 TierSchNutztV,
- in Mastgruppenhaltung eine Tränke für mehr als 12 Tiere, § 29 Abs. 3 Tier-
SchNutztV.
Insbesondere der Mangel der zu geringen Breite der Kastenstände, welcher im
Wesentlichen auf bauliche Gegebenheiten der Anlage zurückzuführen ist, war
dem zuständigen Veterinäramt des Landkreises B. auf Grund vorheriger
Kontrollen bekannt, ist jedoch nicht beanstandet worden. Das Landesverwaltungsamt
berichtete dem zuständigen Ministerium am 18. Dezember 2013 auf
Grund des Recherergebnisses der Angeklagten, "dass die durch den Landkreis
in den letzten Jahren durchgeführten Kontrollen nicht unerhebliche tierschutzwidrige
Zustände gedeckt haben" und "der Landkreis nicht in der Lage war und
ist, die Zustände durch ordnungsrechtliche Maßnahmen zu steuern." Der
Fachdienst Veterinärüberwachung des Landkreises B. berichtete in einer
fachlichen Stellungnahme zu Verstößen in der Tierhaltung der Tierzuchtanlagen
GmbH vom 27. Januar 2014 gegenüber der Staatsanwaltschaft Magde4
burg, dass "der Aufenthalt über einen längeren Zeitraum in zu kleinen Kastenständen
als erhebliches Leiden iSd § 17 Nr. 2 b TierSchG für ein Schwein anzusehen"
sei und "das Fehlen von Beschäftigungsmaterial ? das Wohlbefinden
der Tiere erheblich (beeinträchtige) und ? als erhebliches Leiden einzustufen"
sei.
Das Landgericht vertritt die Auffassung, die Taten seien sowohl als Nothilfe (§
32 StGB) als auch als Notstand (§ 34 StGB) gerechtfertigt.
Dagegen richtet sich die von der Generalstaatsanwalt vertretene Revision der
Staatsanwaltschaft, mit der unter näheren Ausführungen die Verletzung sachlichen
Rechts gerügt wird.
II.
Die Revision hat keinen Erfolg. Die Taten (Hausfriedensbruch, § 123 Abs. 1
StGB) waren gemäß § 34 StGB (rechtfertigender Notstand) nicht rechtswidrig.
Die Angeklagten haben die Taten in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren
Gefahr für ein anderes Rechtsgut begangen, um die Gefahr abzuwenden,
eine Abwägung der widerstreitenden Interessen ergibt, dass das geschützte
Interesse das beeinträchtigte Rechtsgut wesentlich überwiegt. Die
Taten waren auch ein angemessenes Mittel, um die Gefahr abzuwenden.
1. Die Auffassung der Staatsanwaltschaft, eine Rechtfertigung wegen Notstandes
komme
schon deswegen nicht in Betracht, weil hier keine Gefahr für ein
notstandsfähiges
Rechtsgut bestanden habe, sondern Schweine gefährdet gewesen seien,
deren Halter
die Taten der Angeklagten offensichtlich nicht wollte, greift zu kurz.
Nach allgemeiner
Auffassung ist der Tierschutz ein anderes Rechtsgut im Sinne
des § 34
StGB und daher notstandsfähig. Er ist gemäß Artikel 20a GG als
Staatsschutzziel verfassungsmäßig verankert und über das Tierschutzgesetz
als auch die Verordnung zum Schutz landwirtschaftlicher Nutztiere
und anderer Tiere rechtlich ausgestaltet. Unerheblich ist insoweit,
dass das gefährdete Rechtsgut, der Tierschutz, nicht den Angeklagten
selbst zusteht, denn § 34 StGB umfasst auch Rechtsgüter der Allgemeinheit
(BGH NStZ 1988, 558; OLG Düsseldorf NStZ 2006, 243; Roxin,
Strafrecht, AT, 4. Auflage, § 16 Rn. 10). Artikel 20a GG entfaltet
zwar keine unmittelbare Drittwirkung, bindet aber den Staat und seine
Organe. Für die Judikative bedeutet dies, unbestimmte Rechtsbegriffe
im Sinne dieses Staatsziels: Schutz der Umwelt und der Tiere zu interpretieren
(Maunz/Dürig, GG, Art. 20a, Rn. 58). Dies gilt auch für die
Auslegung von § 34 StGB. Die Auffassung der Staatsanwaltschaft, ein
Vorgehen gegen die Misshandlung von Tieren könne keine Rechtfertigung
wegen Notstandes begründen, wenn der Eigentümer der Tiere
dies nur billige, würde auch zu Ergebnissen führen, die kaum nachvollziehbar
sind: So dürfte etwa niemand die Scheibe eines in praller Hitze
stehenden Autos einschlagen, in dem gerade ein Hund zu ersticken
droht, wenn der Eigentümer des Tieres und des Autos zugegen ist und
das Aufschließen der Tür mit dem Hinweis verweigert, eine "kleine Abhärtung"
werde dem Tier nicht schaden.
Die massiven Verletzungen tierschutzrechtlicher Vorschriften, welche
die Angeklagten dokumentierten, begründeten auch eine gegenwärtige
Gefahr. Auch eine Dauergefahr ist gegenwärtig im Sinne des § 34 StGB
5
(BGH St 28, 255 ff., Fischer, StGB, 65. Auflage, Rn. 8 zu § 34). Die dokumentierten
Zustände gefährdeten das Rechtsgut Tierschutz nicht lediglich
im Zeitpunkt der Dokumentation, sondern auch für eine unabsehbare
weitere Zeit.
2. Die Gefahr für das Rechtsgut Tierschutz war auch nicht anders als
durch das Handeln der Angeklagten abwendbar. Zwar ist der Staatsanwaltschaft
zuzustimmen, dass im Falle der Feststellung von Gesetzesverstößen
grundsätzlich zunächst die zuständigen Behörden einzuschalten
sind, es ist auch im Grundsatz allein deren Aufgabe, Beweismittel
für Rechtsverstöße zu sichern. Das kann aber nicht gelten, wenn die
Einschaltung von Behörden von vornherein aussichtslos ist. Hier hatte
das zuständige Veterinäramt bereits vor den Taten der Angeklagten
Kontrollen durchgeführt und in keinem Fall Anlass zu Beanstandungen
gesehen, obgleich ihm ein erheblicher Teil der Mängel, etwa die zu geringe
Breite der Kastenstände, positiv bekannt war. Gleiches gilt für die
zu große Breite der Bodenspalten, die ebenfalls auf baulichen Gegebenheiten
beruhten und sich im Laufe einer überschaubaren Zeit nicht
verändert haben. Hätten die Angeklagten sich an Staatsanwaltschaft,
vorgesetzte Behörde oder Polizei gewandt, ohne bildliche Beweise für
die massiven Verstöße vorzulegen, hätten sowohl vorgesetzte Behörde
als auch Staatsanwaltschaft und Polizei ausschließlich einen Bericht des
zuständigen Veterinäramts eingeholt, der gelautet hätte, dass man regelmäßig
kontrolliere und es nie Beanstandungen gegeben habe. Die
Verfahren wären dann ohne weitere Ermittlungen eingestellt worden.
3. Die Dokumentation der Missstände war auch geeignet, die Gefahr für
das Tierwohl in Zukunft zu verringern oder abzustellen. Eine Notstandshandlung
ist geeignet, wenn die erfolgreiche Abwendung der Gefahr
nicht ganz unwahrscheinlich erscheint (Schönke/Schröder, StGB, 29.
Auflage, § 34 Rn. 19). Ausgeschlossen sind demnach Maßnahmen, die
von Anfang an entweder völlig nutzlos oder nur mit einer ganz unwesentlichen
Erhöhung der Rettungschance verbunden sind (MüKo-StGB,
3. Auflage, § 34 Rn. 90 f).
Die Angeklagten haben durch die Dokumentation und deren Weiterleitung
an die zuständigen Stellen die unangekündigte Kontrolle des Betriebes
erreicht. Es war erst die Vorlage der Aufnahmen durch die Angeklagten,
welche die Veterinärbehörde zwang, die bewusste Vertuschung
tierschutzwidriger Zustände aufzugeben. Die Tatsache, dass die
Gefahr für das Tierwohl nach den Aufnahmen nicht sofort beendet wurde,
führt hier nicht zum Ausschluss einer Rechtfertigung nach § 34
StGB, weil es sich um eine Dauergefahr handelte, bei der es für die
Rechtfertigung ausreicht, wenn die Notstandshandlung zu einer zeitlich
versetzten Gefahrenabwehr führt.
4. Angesichts der Aussichtslosigkeit der Einschaltung staatlicher Stellen
waren die Taten auch das mildeste Mittel zur Gefahrabwendung. Dabei
haben die Angeklagten auch möglichen Gefahren für die Gesundheit
der Tiere durch das Anlegen von desinfizierter Kleidung und die Desinfektion
der Kamera vorgebeugt.
5. Das Eindringen in die Stallanlage und die Dokumentation der Gesetzesverstöße
waren auch ein angemessenes Mittel, um die Gefahr abzuwenden,
wobei das geschützte Interesse (Tierschutz) das beeinträchtigte
wesentlich überwog. Das Landgericht hat überzeugend festgestellt,
dass die Zustände, denen die Tiere ausgesetzt waren, als erhebliche
6
Leiden für diese anzusehen waren. Unabhängig davon, ob diese Zustände
als ordnungsrechtlich oder strafrechtlich relevant zu werten sind,
überwog das Interesse an deren Abstellung das Recht der Betreiber der
Mastanlage auf Respektierung ihres Hausrechts. Das gilt insbesondere
angesichts der Tatsache, dass die Inhaber des Hausrechts für die Missachtung
des Tierschutzes verantwortlich waren. Nach Auffassung des
Senates muss derjenige, der eine Gefahr für ein geschütztes Rechtsgut
verursacht, selber Beeinträchtigungen eigener Rechte eher hinnehmen
als ein Dritter, der an der Entstehung der Gefahr unbeteiligt ist.
6. Auch die Einwände der Revision gegen die Annahme von Rettungsabsicht
der Angeklagten gehen fehl. Die Kammer hat festgestellt, dass die
Angeklagten sichere Hinweise auf massive Verstöße gegen die Tierschutznutztierhaltungsverordnung
erhalten hatten. Wenn die Kammer
ihnen dies geglaubt hat, ist das angesichts der Tatsache, dass diese
massiven Verstöße tatsächlich ? auch behördlicherseits ? festgestellt
wurden, nicht zu beanstanden. Ebenso konnte das Landgericht den zeitlichen
Abstand zwischen Fertigung des Filmmaterials und dessen Vorlage
bei den Behörden dahingehend werten, dass die Angeklagten diese
Zeit für die Aufarbeitung des Materials sowie die Erarbeitung der
Strafanzeige benötigt haben. In dieser Hinsicht unternimmt die Revision
mit der Wertung, der zeitliche Abstand zwischen den Filmaufnahmen
und der Vorlage des Materials bei den Behörden belege eine fehlende
Rettungsabsicht, lediglich den Versuch, ihre eigene Würdigung an die
Stelle der gut begründeten des Landgerichts zu setzen.
Soweit die Revision meint, die Angeklagten seien nicht mit dem Willen,
eine Gefahr abzuwenden, in die Ställe eingedrungen, sondern es sei
ihnen nur darum gegangen, vorhandene Hinweise zu überprüfen, ist das
urteilsfremd. Nach den Feststellungen des Landgerichts drangen die
Angeklagten nicht in die Anlage ein, um zu prüfen, ob dort Verstöße gegen
Tierschutzgesetze begangen wurden, sondern um diese ihnen bekannten
Verstöße bildlich festzuhalten.
III.
Im Gegensatz zu rechtfertigendem Notstand belegen die Urteilsgründe
keine Rechtfertigung wegen Nothilfe nach § 32 StGB. Nothilfe ist nämlich
nur die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen
rechtswidrigen Angriff von einem anderen abzuwenden (§ 32 Abs. 2
StGB). Die Feststellungen des Landgerichts ergeben nicht, dass die
Angeklagten durch die Dokumentierung der Tierschutzverstöße Gefahren
von den zum Zeitpunkt des Eindringens dort untergebrachten Tieren
abwenden wollten. Mastschweine werden nämlich üblicherweise nach
einer Mastzeit von einigen Monaten geschlachtet. Angesichts des Zeitraumes,
der von der Dokumentation bis zur Einreichung des Materials
bei den zuständigen Behörden verging, und des voraussehbar erheblichen
weiteren Zeitraums bis zu einer Abstellung der Verstöße mussten
die Angeklagten davon ausgehen, dass ihre Aktion der überwiegenden
Anzahl der gefilmten Tiere nicht mehr zugutekommen konnte, sondern
nur den nach Abstellen der Missstände untergebrachten Tieren, für die
indes beim Eindringen in die Ställe noch keine gegenwärtige Gefahr bestand.
IV.
7
Angesichts der von der Revision vertretenen Auffassung, ein Freispruch
der Angeklagten würde insbesondere dem Personenkreis der Tierrechtsaktivisten,
dem die Angeklagten zuzurechnen seien, "unter dem
Deckmantel von Nothilfe oder Notstand" erhebliche Eingriffsrechte außerhalb
rechtsstaatlich geregelter und kontrollierter Verwaltungsverfahren
zubilligen, sieht der Senat Anlass zu folgender Klarstellung: Eine
Rechtfertigung wegen Notstandes kommt nur in Betracht, wenn den
Eingreifenden die Tatsachen bekannt sind, welche diesen rechtfertigen.
Dazu reicht die bloße Vermutung, es werde generell oder gerade in diesem
Betrieb gegen Vorschriften verstoßen, nicht aus. Es gibt keine Befugnis,
in fremde Rechte einzugreifen, um zu überprüfen, ob dort gegen
Gesetze verstoßen wird. Ebenso wenig kann das staatliche Gewaltmonopol
umgangen werden, wenn nicht feststeht, dass die staatlichen Behörden
sich im konkreten Fall weigern, ihre Aufgaben zu erfüllen. Die
Angeklagten wussten, dass hier gegen Gesetze verstoßen wurde, die
Richtigkeit dieses Wissens hat sich erwiesen. Ebenso ist erwiesen, dass
die Aufsichtsbehörde massive Mängel vertuscht hat. Die Einschaltung
weiterer Behörden wäre aus den oben genannten Gründen aussichtslos
gewesen.
Die Strafjustiz ist durchaus in der Lage, "Deckmäntel" aufzudecken und
festzustellen, ob ein Rechtfertigungsgrund ?wie hier? tatsächlich vorliegt
oder ob der Beschuldigte die tatsächlichen Voraussetzungen eines solchen
nur wahrheitswidrig behauptet.
Henss Becker Wiederhold
Vorsitzender Richter Richter am Richterin amam Oberlandesgericht Oberlandesgericht Amtsgericht
Impressum:Oberlandesgericht Naumburg PressestelleDomplatz 10 06618 Naumburg (Saale)Tel: 03445 28-2229 Fax: 03445 28-2000Mail: presse.olg@justiz.sachsen-anhalt.deWeb: www.olg.sachsen-anhalt.de